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Jüdische Neubesiedlung des Gazastreifens

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Israelische Soldaten nehmen Massenverhaftungen und Verschleppungen aus dem zerstörten Nordgaza vor. Bild: Times of Gaza

Rechtsradikale Nationalreligiöse debattieren in Israel die jüdische Neubesiedlung des Gazastreifens. Ist das nur eine absurde Vorstellung?

 

“Vorbereitung zur Besiedlung des Gazastreifens” war der Titel einer Konferenz, die in den Tagen des Laubhüttenfests an der Grenze zum Gazastreifen stattfand. Es handelte sich um eine Initiative der “Nachala”-Bewegung “zur Besiedlung von Großisrael”, die im Jahr 2005 von den damaligen Führern der messianisch beflügelten nationalreligiösen Siedler im Westjordanland, Moshe Levinger und Daniella Weiss, gegründet wurde.

2005 war das Jahr, an dem Premier Ariel Sharon den Rückzug Israels aus dem Gazastreifen beschloss und unter vehementem Widerstand der dortigen Siedler gegen das Militär vollzog, ein Ereignis, das sich für die Siedlerbewegung “traumatisch” gestaltete und sich ihr seither als Mythos des großen “von der Regierung” an den Siedlern begangenen “Verrats” erhalten und verfestigt hat. Paradox war dabei, dass gerade Ariel Sharon der tatkräftige und skrupellos agierende Patron der Siedlerbewegung gewesen war; die massive jüdische Besiedlung des Westjordanlandes (und ursprünglich auch des Gazastreifens) darf als sein politische Lebenswerk angesehen werden.

Von selbst versteht sich, dass die heutige Parteiführung der Siedlerbewegung, allen voran Itamar Ben-Gvir und Bezalel Smotrich (und andere Funktionsträger), sich der politischen Gaza-Initiative verschrieben haben; sie widerspiegelt exakt ihre Ideologie. Smotrich schrieb vor Beginn des Events: “Um die Wahrheit zu sagen, ist mir ziemlich klar, dass es letztendlich eine jüdische Besiedlung des Gazastreifens geben wird. So wie es mir die ganzen Jahre seit der Vertreibung [im Jahr 2005] klar war, dass der Tag nicht mehr fern ist, an dem wir ganz Gaza von neuem werden erobern müssen, wie es unsere heldenhaften Kämpfer und Kommandeure im letzten Jahr tun.” Sein Gesinnungsgenosse Ben-Gvir erläuterte seinerseits: “Wenn wir wollen, können wir die Besiedlung Gazas erneuern […] wir können nach Hause zurückkehren. Wir können noch etwas machen – die Emigration [der Palästinenser] fördern. In Wahrheit ist dies die moralischste, die richtigste Lösung. Nicht unter Zwang. Aber ihnen sagen: ‘Wir geben euch die Möglichkeit, geht hier weg in andere Länder’. Eretz Israel gehört uns.”

Die Nachala-Vorsitzende Daniella Weiss gab sich wie stets zweckorientiert pragmatisch und verkündete: “Wir haben vierzig [vorgefertigte] Bauten bestellt, um die Besiedlung Gazas sofort zu beginnen. Die aufgeklärten Länder der Welt müssen zusehen, dass sie die sogenannten ‘Unbeteiligten’ bei sich aufnehmen. Das Volk Israel wird in den westlichen Teil der Negev-Wüste bis zum Meer zurückkehren. 50 Jahre der Besiedlung Samarias [in der Westbank] haben mich gelehrt, dass alles, was nicht real aussieht, real wird.” Und Ben-Gvirs Parteigenosse Yitzhak Wasserlauf gab den Gegnern der Initiative Nachhilfeunterricht: “Ich habe gehört, dass man diese Konferenz als messianisch bezeichnet. Was heißt messianisch? 2000 Jahre haben wir geträumt, hier einen Staat zu errichten, einen Priesterstaat für ein heiliges Volk. Wir werden nach Hause zurückkehren.”

Aber es war nicht nur eine Veranstaltung rechtsradikaler Faschisten nationalreligiöser Couleur. Mitträgerin war die Likud-Partei. Eine entsprechende Einladung zum Ereignis trug die Unterschrift von Ministerin May Golan und anderer Likud-Abgeordnete. In der Einladung hieß es: “Ein Jahr nach dem Pogrom stellen wir uns alle, Likud-Mitglieder, örtliche Vorsitzende, Minister und Parlamentsmitglieder, und rufen gemeinsam: Gaza gehört uns. Für immer!” In der Tat erschienen nicht wenige (auch prominenten) Likud-Mitglieder zur Tagung. Gefragt, wie sich ihre Solidaritätsbekundung mit Netanjahus Aussage, die jüdische Besiedlung Gazas sei nicht real, vertrage, antwortete einer von ihnen: “[Netanjahu] sagt nicht, dass man nicht besiedeln soll. Er sagt, dass es nicht real sei. Wir müssen es real werden lassen.”

Und die großmäulige Tali Gottliv, von der es hieß, sie haben sich auf dem Veranstaltungsgelände wie eine Celebrity bewegt, erklärte rigoros: “Ich bin hierher gekommen, um kundzutun, dass der Weg, den Feind zu besiegen, nicht nur Artilleriebeschuss bedeutet, sondern auch die Wegnahme seines Landes.” Sie fügte hinzu: “Man sagt hier [auf der Veranstaltung] unverhohlen, was als Kriegsziel hätte erklärt werden müssen.” Auch sie hatte eine Erklärung für den Widerspruch zu Netanjahus Behauptung: “Von ihm aus gesehen, kann er nicht hier sein. Aber das Parteiprogramm hat Großisrael zur Grundlage.”

Man könnte diese Farce als arrogantes, realitätsfernes Rumgetöne abtun. In der populistischen Rhetorik der heutigen Herrscher Israels gibt es ja mittlerweile kaum noch etwas, so absurd es erscheinen mag, das nicht für hervorhebbar und verbreitungswürdig erachtet werden mag. Es reicht hin, die Gratulationstexte zum 75. Geburtstags Benjamin Netanjahus, die seine Frau und sein Sohn Yair verfasst haben, zu lesen, um zu verstehen, woran man hierzulande ist. Aber es wäre verfehlt, besagte Veranstaltung und die mit ihr einhergehende Rhetorik zur jüdischen Neubesiedlung des Gazastreifens unberücksichtigt zu lassen. Denn historisch-empirisch recht haben, wie sich herausstellt, gerade jene, die in diesem Zusammenhang am (vermeintlich) irrealsten schwadronieren.

Bedenkt man nämlich, wie und unter welchen Bedingungen die ersten (spontan-provisorischen) Siedlungen in den 1970er Jahren im okkupierten Westjordanland errichtet wurden, und welch riesiges Ausmaß das Siedlungswerk inzwischen angenommen hat, muss man Daniella Weiss’ Behauptung (widerwillig) zustimmen, derzufolge 50 Jahre der Besiedlung des Westjordanlandes sie gelehrt hätten, dass alles, was nicht real aussieht, letztlich real werde. Dass sie und ihresgleichen dabei messianisch beseelt sind und ihren Messianismus in eine historische Sicht der Zwangsläufigkeit umsetzen; dass sie die Katastrophe des gesamten letzten Jahres als ein Wunder (wörtlich so) werten, welches dem jüdischen Volk widerfahren sei; dass sie darüber hinaus meinen, sich über die politische Realität hinwegsetzen zu dürfen (Kritik aus Europa oder zweckrationale US-amerikanische “Anmahnungen” gelten ihnen nichts) – das alles macht ja gerade die Effektivität ihrer Emphase aus.

Wer sich auf Gott beruft, hat den besten Kronzeugen für sich, zumal die Wirklichkeit sich in seinem Sinne verändert, was die Allmacht des Kronzeugen mit umso größerer Suggestivkraft “evident” werden lässt. Das zum Kampfruf mutierte Allahu akbar der Moslems und die Auserwähltheits-Pathologie der Juden reichen sich da spätestens auf dem Schlacht-, Massaker- und Pogromfeld unter Bomben- und Raketenhagel die Hand.

 

Aber es wäre nicht minder verfehlt, die messianische Motivation allein für die Bestrebung, den Gazastreifen erneut jüdisch zu besiedeln, verantwortlich zu machen. Denn so wie die Errichtung der ersten Siedlungen in den 1970er Jahren nicht allein dem euphorisch-religiösen Ansinnen der Anhänger von Moshe Levinger und Daniella Weiss zuzuschreiben war, sondern entscheidend auch dem von der damals herrschenden säkularen Arbeitspartei hierfür erteilten Segen (ohne die augenzwinkernde Hinnahme der partisanischen Initiative der enthusiasmierten Siedler wäre die Aktion nicht möglich gewesen), so muss auch diesmal ein nichtreligiöser Aspekt beachtet werden. Netnatjahu gebärdet sich zwar noch skeptisch, er hält die erneute Besiedlung des Gazastreifens für “nicht real”, zugleich schmettert er aber die schiere Idee nicht kategorisch ab; er sagt nicht, wie jenes Likud-Mitglied meint, man solle nicht besiedeln. Er ist verschlagener Realpolitiker genug, um zu wissen, wie man den Kuchen isst und ihn dennoch behält. Zurecht weist Tali Gotliv (für Netanjahus Realpolitik Verständnis aufbringend) darauf hin, dass das Programm der Likud-Partei Großisrael zur Grundlage habe (sie hätte hinzufügen können, dass dies für die Revisionisten seit jeher der Fall war, schon lange vor der Staatsgründung im Jahre 1948).

Aber es geht in diesem Zusammenhang nicht nur um Parteiinternes. Vielmehr muss man sich den expansionistischen Grundzug des Zionismus vor Augen halten. Tali Gottlivs Spruch von der “Wegnahme” des Landes bezieht sich zwar auf den Feind im Kriegskontext. Für einen “Feind” wurde jedoch in der historischen Praxis des Zionismus alles und jeder erachtet, der sich seinen territorialen Ambitionen entgegenstellte. Es ist dabei kein Widerspruch, dass das mittlerweile 76 Jahre alte Israel bis zum heutigen Tag keine anerkannte Grenzen hat. Im Gegenteil, solange man diese Frage ungeklärt bzw. “offen” lässt, kann man auf Gebietserweiterung hoffen, mithin auch (etwa im Westjordanland) Landraub betreiben.

Die territoriale Frage ließe sich jedoch nur im Rahmen einer politischen Regelung mit den Palästinensern klären – es ist davon auszugehen, dass man auf israelischer Seite gerade deshalb den Friedenschluss mit ihnen verweigert. Bei Netanjahu ist dies zum regelrechten Slogan geronnen: Den Konflikt will er nicht lösen, sondern lediglich verwalten. Wie das aussieht, hat man am 7. Oktober und im nachfolgenden Kriegsjahr erfahren dürfen. Netanjahu lässt sich davon nicht beirren: Gefragt, ob das bedeutet, dass Israel sich für immer “auf das Schwert” wird stützen müssen, antwortete er mit einem lakonischen Ja.

In der gegenwärtigen Regierungskoalition darf der israelische Premier ohnehin nicht an eine Lösung denken, wenn er seine Herrschaft wahren, mithin seine Macht nicht verlieren will (und nichts will er mehr als eben das). Da kommen ihm die messianisch befeuerten Platzhalter des Siedler-Faschismus gerade recht – sie garantieren ihm die unbegrenzte Fortführung des Krieges. Was dabei aus der jüdischen Besiedlung des Gazastreifens wird, gilt es abzuwarten. Vorläufig sind die faschistischen Gotteskrieger de facto Herren des Landes.

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